Terrified...

 What´s going on? Where am I?

 

Eine Woche in Minamata


Hier ein kurzer Zwischenbericht. Kommentar erwünscht, sehr.

Eine Woche in Minamata (22.-30.10.2010)

In Minamata gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die sich für den Anbau ohne oder mit möglichst wenig Pestiziden bzw. ohne chemische Düngemittel einsetzen. Eine einheitliche Definition von ökologischem/organischem Anbau existiert nicht und es gibt nur wenige, die sich um offizielle Siegel kümmern. Es handelt sich sowohl um Einzelpersonen, als auch Gruppen, die in lockerem Zusammenschluss gemeinsam agieren, wobei es nirgendwo strenge gemeinsame Richtlinien zu geben scheint, sondern die Produkte zum größten Teil unter Nennung des jeweiligen Produzenten vertrieben werden, der direkt die Verantwortung übernimmt. Der Kreis der Akteure ist überschaubar und man kennt sich gegenseitig. Insgesamt scheint die Zahl der von außerhalb Minamatas kommenden deutlich in der Überzahl zu sein, wobei dazu kommt, dass die Unterscheidung zwischen von außen/ortsansässig zum Teil schwierig ist, da manche erst in der zweiten oder dritten Generation hier sind, was für die Alteingesessenen immer noch den Beigeschmack von „außerhalb“ beibehält. Die Produzenten haben zum größten Teil alle unterschiedliche Vertriebswege, auf denen sie ihre Produkte verkaufen, mit einem häufig beträchtlichen Anteil an Direktkunden, die ihre Bestellungen direkt nach Hause zugestellt bekommen. Dazu kommen alternative Genossenschaften (Seikyô) in den Räumen der größeren Städte, welche sich auf den Vertrieb von organischen Produkten spezialisiert haben und die je nachdem größere Mengen abnehmen und die Produzenten in Minamata außerdem zusätzlich aus ideologischen Gründen unterstützen. Bei den Gruppen, die sich aus ehemaligen, meist studentischen Aktivisten im Kampf gegen die für die Verseuchung verantwortliche Firma „Chisso“ zusammensetzen, spielt natürlich die Minamata-Krankheit einen zentralen Aspekt in der Eigenidentität und auch in Bezug auf die Nutzung von chemischen Stoffen in der Landwirtschaft. Obwohl dies je nach Person keinen derart zentralen Aspekt darstellt, hat sich dennoch die Argumentation in Bezug auf den ökologischen Anbau um diese Erfahrung herum arrangiert. D.h. allgemeine Verweise auf die Notwendigkeit, die Umwelt zu schützen und zu erhalten werden auch von nicht direkt Involvierten mit Hinweis auf die Verseuchung verdeutlicht. Dies könnte jedoch auch daran liegen, dass der ökologische Anbau zunächst insbesondere von den Aktivistengruppen vorangetrieben wurde und der Anschluss an dieses Netzwerk auch eine gewisse Auseinandersetzung mit der Thematik erforderlich machte. Daneben gibt es auch Leute, die ausdrücklich ihre Tätigkeiten von der Verseuchung distanzieren und auf andere Aspekte zurückführen. Allen gemein ist jedoch, dass die wachsende Beliebtheit und Würdigung von ökologischen bzw. sicheren (anzen) Produkten durch eine steigende Zahl von Konsumenten erst diese Art des Anbaus ermöglichte. Dabei herrscht ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Bewusstsein darüber vor, dass gerade der Name „Minamata“, der mit dem Stigma der Umweltverseuchung verbunden war, diesen Effekt in der Folgezeit sogar noch steigerte, da davon ausgegangen wurde, dass die Bewohner einer solchen Region besonders auf eine umweltfreundliche Anbauweise achten würden.

Die Personen, die sich innerhalb dieses „Green-agriculture“-Bereichs bewegen, haben zum größten Teil eine hohe Sendungsbereitschaft und erzählen überaus bereitwillig von ihren Erfahrungen und pflegen untereinander positive Beziehungen. Der Leiter einer Aktivistengruppe meint sogar, es handelt sich um eine Art große Familie. Zugleich gibt es jedoch auch Stimmen, die sich über die mangelnde konkrete Zusammenarbeit beklagen. Zwar findet Austausch statt, aber dieser beschränkt sich auf Meinungen und gelegentliche Unterstützung, ohne in wirklich gemeinsam koordinierte Aktivitäten zu resultieren. Tatsächlich fänden es einige wünschenswert, den ökologischen Anbau und vor allem den Vertrieb der Produkte aus seiner Randposition zu befreien und in eine ordentlich institutionalisierte Form zu gießen. Warum dies bisher nicht zu Stande gekommen ist, wird auf unterschiedliche Arten erklärt, zum Beispiel der Differenz im Denken und Handeln zwischen Alteingesessenen und neu Zugewanderten, dem Fehlen einer zentralen Persönlichkeit, die von allen Seiten anerkannt würde und das insgesamt immer noch geringe Bewusstsein der japanischen Konsumenten. Derzeit beträgt der Anteil organisch produzierter Feldfrüchte etwa 0,1% in Japan.

Hierbei handelt es sich um eine Beschreibung und sehr knappe Zusammenfassung des Eindrucks, den ich innerhalb einer Woche vor Ort gewonnen habe. Meiner Meinung nach kann ich mir ein einigermaßen klares Bild von dieser losen Gruppe, die intern natürlich noch viele Differenzen aufweist, machen. Um dieses Bild zu ergänzen, hoffe ich nächste Woche irgendwie in Kontakt mit „normalen“ Bauern kommen zu können, die gerade nicht mit den Aktivisten in Verbindung stehen, die ihre Produkte von der japanweit tätigen Landwirtschaftsgenossenschaft abnehmen lassen und die sich weder für die Verseuchung noch die Umwelt im allgemeinen besonders interessieren.

Ansonsten weiß ich noch nicht, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird, bzw. wie ich es auch theoretisch fassen kann. Für Anregungen und Rückmeldungen in diesem Bereich bin ich sehr dankbar.


    



 
If Japan, on some subconscious level, didn’t fear the machine,
it would never have its corner in cyberpunk culture.
On the other hand, it would have nothing to fear from the machines
if they weren’t so damn good at making them.
by Mizuko Ito, Chanpon-Blog
online for 8040 Days
last updated: 5/3/13, 7:19 PM

Browse by Category
  • Depri
  • Deutschland
  • Ethnologie
  • Gedanken
  • Japan
  • punkiges

  • You're not logged in ... login
    User Menue


    April 2024
    SunMonTueWedThuFriSat
    123456
    78910111213
    14151617181920
    21222324252627
    282930
    April

    recent
    The last of America
    --- Head Note: As stated below, I reactivated my blog, but I still suck at HTML and now I have to find out again / remember how to arrange Pictures etc. Sorry for the really awful looking post, however it will take me some time before I have it all...
    by JakobAbuLouie (4/14/14, 7:09 AM)
    Times of Change
    Last weekend I visited my grandparents for the last time. After the death of my grandmother last year, the house was sold and all the art was moved into a storage room. It was very strange to see those familiar places, already almost empty. The storage room was then full...
    by nestap (5/3/13, 7:19 PM)
    Sie ist da!
    Heute am 22.2.13 um kurz vor 12h wurde Noemi geboren. Willkommen im Leben! Wir sind froh, dass du da bist.
    by nestap (2/22/13, 1:05 PM)
    Hannah Arendt sagt:
    Am 17. August 1946 in einem Brief an den Philosophen Karl Jaspers über den Holocaust: „Für diese Verbrechen gibt es keine angemessenen Strafen mehr. Göring zu hängen ist zwar notwendig, aber völlig inadäquat. Das heißt, diese Schuld, im Gegensatz zu aller kriminellen Schuld, übersteigt und zerbricht alle Rechtsordnung. Dies ist...
    by nestap (7/4/11, 12:47 PM)
    Ein Geschenk
    Heute kam ein Geschenk für Louie aus Japan. Das war größer als der Louie: Drinnen ging es dann so weiter: Polsterung... Drunter das Geschenk... In einer Plastikhülle... In einer Papiertüte... In einer Geschenktüte... In einer Plastiktüte... In einer Papierhülle... Und das ist es: Eine Decke, made in England. Soviel zu Verpackungskultur und vielleicht noch Müllreduzierung... (?!?)
    by nestap (2/21/11, 8:35 PM)

    RSS Feed

    Made with Antville
    powered by
    Helma Object Publisher

    Links

    Da ich es nicht herausgefunden habe, wie man eine Extraseite für Links einrichtet, werden diese sich jetzt erstmal hier unten stapeln, wo sowieso niemand hinschaut. Wenn das mal jemand sieht, der sich auskennt, freu ich mich gern über einen Hinweis oder Link, wo ich nachschauen kann... Benutzt dürfen sie natürlich auch gerne...