Terrified...

 What´s going on? Where am I?

 

So schön, so schlimm, so viel


Seit Freitag bin ich in Minamata.

Mein Startbild ist eigentlich bescheuert, denn es handelt sich einfach um einen Holzbetrieb in der Nähe. Aber irgendwie kam es mir trotzdem passend vor...

Wo soll ich anfangen. Ich bin erst vier Tage hier, aber es ist irgendwie zuviel. Aber vielleicht ist der heutige Tag der beste Einstieg, hier also Sightseeing in Minamata:

Die Stadt, in der diese große, unglaublich schwer fassbare Katastrophe stattfand. Ein Aktivist, der sich vor ca. 35 Jahren hier niedergelassen hat, um die Opfer der Vergiftung zu unterstützen meinte: "Es wird zwar immer von der Minamata-Krankheit gesprochen, aber eigentlich handelt es sich um einen Fall von massenhafter grob fahrlässiger Tötung, die mit vollem Bewusstsein in Kauf genommene Bereitschaft das Leben tausender Menschen für den Erfolg der Firma aufs Spiel zu setzen."

In dem Bereich der ehemaligen Minamata-Bay gibt es ein Stück aufgeschüttetes Land, auf dem sich heute ein Museum oder vielleicht besser eine Erinnerungshalle für das Geschehen befindet. Das Monument davor zeigt eine Reihe von silbernen Kugeln, die in Richtung Meer zu rollen scheinen. In dem Museum finden täglich mehrfach Gesprächsrunden statt, bei denen von der Vergiftung befallene oder ihre direkten Angehörigen vor hunderten von Grundschülern von ihren Erfahrungen berichten. Besonders in Südjapan gehört dieser Besuch genauso wie der nach Hiroshima zum Lehrplan. Wenngleich ich beileibe nicht alles verstand, was die alte Dame berichtete, war sehr eindrücklich, wie sie von der Geburt ihrer Söhne berichtete, der erste stark behindert, der zweite Tot innerhalb eines Monats, der dritte stärkste von allen und sogar in der Lage, alleine zur Schule zu gehen, aber inzwischen alle drei inklusive ihrem Ehemann dahingeschieden. Davon berichtete die kleine alte Frau mit niedriger, konstanter Stimme, während sich die Schüler schwer beherrschen konnten. Draußen wehte derweil ein starker Wind vom Meer und trieb die Wellen mit Schwung von sich her. Tatsächlich handelt es sich bei dem aufgeschütteten Land um eine Art "Endlager" für den quecksilberverseuchten Schlamm der Umgebung. In einem Millionenprojekt wurde dieser Schlamm zusammengekratzt und durch dicke Betonwände versiegelt. Einen großen Teil der Fläche macht eine eine umfangreiche Sportanlage aus. Nur an dem direkten Küstenstreifen, der heute vollkommen unbesucht war, gibt es einen Grasstreifen, auf dem von Familien der Opfer kleine "Ojizô-San" aufgestellt wurden. Dabei handelt es sich um kleine Steinstatuen, die etwas buddhaartig anmuten, zugleich aber auch Erdgeister sind. Diese waren über den gesamten Küstenbereich verteilt und blickten auf das Meer hinaus. Einige waren lustig, manche traurig oder melancholisch, aber kein einziger von ihnen war wütend. Am eindrücklichsten fand ich den kleinen Kerl, der einfach still und friedlich vor sich hinlächelte.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie unter meinen Füßen das Quecksilber brodelte, während oben der Wind über das Gras und die Wellen fegte.

Kurzum, ich versuchte mich also selbst möglichst tief in eine dunkle, bedrückte und spirituelle Stimmung zu steigern, vermutlich um mir selbst zu beweisen, wie einfühlsam ich sei, oder bei Gelegenheit, so wie dieser hier, davon zu berichten und damit möglichst beeindruckte Reaktionen auszulösen. Als ich also über das Quecksilber-Minenfeld wieder in Richtung Ausgang schlenderte, kam eine klein-dickliche Japanern mit Winken und Grinsen auf mich zu, fing an auf Japanisch mit mir zu plappern und beschloss, dass ich bestimmt unbedingt ein Erinnerungsfoto an den Ort haben wolle. "Viel Spass in Minamata" wünschte sie mir und brauste in ihrem winzigen Auto davon.

Willkommen in Minamata. Bisher habe ich erst einmal alleine zu Abend gegessen, erst einmal selbst dafür gezahlt.


    



 
If Japan, on some subconscious level, didn’t fear the machine,
it would never have its corner in cyberpunk culture.
On the other hand, it would have nothing to fear from the machines
if they weren’t so damn good at making them.
by Mizuko Ito, Chanpon-Blog
online for 8040 Days
last updated: 5/3/13, 7:19 PM

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