Terrified...

 What´s going on? Where am I?

 

Zuviel Input, kein Ventil


Es gibt eine Zeichnung von Loriot, auf der ein Autofahrer auf einem kleinen runden Platz "gefangen" ist, da alle Strassen, die auf ihn zufuehren Einbahnstrassen sind. Allerdings nur zum Platz hin, nicht mehr weg davon. Der Autofahrer faehrt von einem Einfahrt verboten Schild zum naechsten, immer im Kreis herum. Wuerden nun weitere Autofahrer hinzukommen, wuerde die Situation zunehmend kritischer werden, da immer mehr Autos ohne Ausweg zusammenkaemen.

Vermutlich hat der Comic auch Implikationen bezueglich der sprichtwoertlichen deutschen Regelkonformitaet, aber ich habe mich heute daran erinnert, weil das Gefuehl habe, nicht zu wissen, wie ich mich ausdruecken soll. Es gibt viele menschliche Ausdrucksformen, das Sprechen, das Schreiben, das Malen, das Singen, das Tanzen, das Wueten, das Formen usw. Auf unterschiedliche Weise werden die Eindruecke, Empfindungen, der gesamte Input, der fortwaehrend auf einen einstroemt verarbeit und wieder ausgegeben. Ob dies dann Inspiration oder Trauma genannt wird ist eine Frage der Bewertung.

Wo ist mein Ventil? Die Weise, in der ich das Gefuehl habe, adequat darstellen zu koennen, was mich bewegt? Vielleicht ist es ja reine Selbstueberschaetzung, aber ich glaube intensiv zu fuehlen. Viel zu fuehlen. Ich moechte diese Gefuehle zum Ausdruck bringen, aus mir herausholen und ans Tageslicht befoerdern. Ob dies dann fuer jemanden anderen etwas bedeutet, auch jemanden anderen beruehrt ist erst der naechste Schritt. So aber bleibt der Gefuehlwulst in mir drin, unklar und schemenhaft. Die Form kommt erst von der Formulierung.

Heute habe ich das Buch "Kokoro" (Herz) von Natsume Soseki fertig gelesen. Ein langer Weg war es, zum einen weil es oft schwieriges Vokabular benutzte, was das Lesen zeitraubend machte. Und ausserdem, weil es nicht spannend war. Kein Buch mit oder ueber Geschehnisse. Eigentlich eine endlose Aneinanderreihung von Gedanken, Gespraechen, Belehrungen, hauptsaechlich Gedanken. Der erste Teil erzaehlte ueber die Bekanntschaft des studentischen Ich-Erzaehlers mit dem Sensei (Lehrer). Von Anfang an ist die Beziehung von tiefem Respekt gepraegt, obwohl der Sensei von sich aus kaum Redet und auch sonst keinerlei aeusseren Leistungen vollbringt. Dennoch verehrt ihn der Erzaehler mehr, als ihm sein eigentliches Studium bedeutet. Im zweiten Teil kehrt der Student in sein Heimatdorf zurueck, weil dort sein Vater schwer erkrankt ist. Dabei fuehlt er sich eingeengt von den doerflichen Strukturen und Denkmustern, will schnell wieder nach Tokio in die Stadt zurueck. Gleichzeitig traegt sein Bruder die Aufforderung heran, nach dem Tod des Vaters den Haushalt zu uebernehmen. Als der Vater im Sterben liegt kommt ein langer Brief vom Sensei, in dem dieser das Geheimnis offenbart, dass all die Jahre sein Herz verdunkelte und er nicht einmal seiner Frau mitteilen konnte. In jungen Jahren hatten er und sein Freund K die gleiche Frau geliebt. K offenbarte dies dem jungen Sensei, woraufhin dieser in Panik geriet und schliesslich, ohne das K davon erfuhr um die Hand des Maedchens anhielt und sie auch zugesprochen kam. Da er das Gefuehl hatte, K hintergangen zu haben sagte er ihm nichts, bis dieser es aus anderer Quelle erfuhr. K beging daraufhin Selbstmord, so dass der Sensei auf ewig die Moeglichkeit einer Klaerung verlor. Der Brief ist quasi sein Testament und endet mit den Worten: "Wenn du diesen Brief erhaelst werde ich bereits nicht mehr am Leben sein."

War das Buch interessant? Ehrlich gesagt, nicht uebermaessig. Aber auch nicht langweilig. Penibel und sehr konzentriert geschrieben, so dass es zwar teilweise zaeh zu lesen war, aber dennoch kein Wort ueberfluessig war. Gesellschaftskritisch gelesen ist das eindeutigste Thema der Wandel zwischen alten und neuen Werten, die von den Protagonisten ausfuehrlich reflektiert werden, wobei letztlich kein Urteil ueber gut oder schlecht statt findet. Auf der persoenlichen Ebene geht es um Gefuehlszwickmuehlen, die manchmal keine optimale oder auch ueberhaupt keine Loesung zulassen. Die Athmosphaere ist trueb, eher pessimistisch, ohne grosse Aussicht auf Glueck. Gleichzeitig wirkt das Geschehen sehr realistisch, sowie auch heute noch zeitgemaess, was dazu fuehrt, dass es in dem traumwandlerisch-realitaetsfernen mir ernste Sorgen ausgeloest hat.

Aber sehen wir die Sache positiv, ich habe einen kompletten Roman auf japanisch gelesen, so klassisch und beruehmt, dass ihn jeder Japaner kennt, aber nicht so viele gelesen haben. Vermutlich vergleichbar mit Thomas Mann, mit der Sprache ebenfalls noch etwas anders als heute. Aber dennoch, als naechstes moechte ich eher was neueres lesen, denke ich...


    



 
If Japan, on some subconscious level, didn’t fear the machine,
it would never have its corner in cyberpunk culture.
On the other hand, it would have nothing to fear from the machines
if they weren’t so damn good at making them.
by Mizuko Ito, Chanpon-Blog
online for 8045 Days
last updated: 5/3/13, 7:19 PM

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